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Rede anlässlich des 88. Jahrestages im Jahre 2022 der Februarkämpfe (12.2.1934)

Die Rede von Gudrun Mosler-Törnström vom 12.2.2022 vor der ÖGK Salzburg

Bei einer Gedenkfeier wie heute, bei der wir des Aufstands von Arbeiterinnen, Arbeitern und Arbeitslosen gegen den Klerikalfaschismus gedenken, der das Land seit der Ausschaltung des Parlaments durch Engelbert Dollfuss im März 1933 im Würgegriff hatte, fragt man sich, kann das wieder passieren? Es gibt keine eindeutige Antwort, aber in der Tat einige nicht zu übersehende Entwicklungen, die, wie uns die Geschichte gezeigt hat, katastrophal enden könnten.

Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sind im letzten Jahrzehnt immer mehr in die Defensive gedrängt worden. Sowohl in Europa als auch weltweit regieren hauptsächlich Männer, oft Populisten, die das demokratische System nur dazu benutzen, um selbst an die Macht zu kommen, und die in der Folge demokratische Einrichtungen in Frage stellen. Dieser Narzismus hat viele Gesichter. Ich möchte nur einige Beispiele nennen: Donald Trump in Amerika, Jarosław Kaczyński in Polen, Janez Janša in Slowenien, Recep Erdoğan in der Türkei oder Viktor Orbán in Ungarn, aber in Ansätzen auch Boris Johnson in England.

Winston Churchill hat einmal gesagt: “Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.”
Demokratie ist harte Arbeit, bedarf einer ständigen Veränderung und Anpassung an neue Gegebenheiten sowie die Notwendigkeit sich gelegentlich den Ansichten Anderer zu beugen. Das ist eines der Erfolgsrezepte der 2. Republik. Die jüngsten politischen Ereignisse haben jedoch gezeigt, dass genau diese Fähigkeiten immer weniger eine Rolle spielen. Vielmehr geht der politische Diskurs in die Richtung: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“. Damit laufen wir Gefahr, dass sich Fehler der Geschichte teilweise wiederholen.

Der Abbau von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte passiert nicht abrupt, sondern kommt auf leisen Sohlen. Wenn so wie auch in Österreich in den letzten Jahren der Respekt gegenüber demokratischen und rechtlichen Institutionen verloren geht, wenn die Sprache herabwürdigend und diffamierend gegenüber politischen Mitbewerbern ist, dann macht das etwas in den Köpfen der Bevölkerung

und mit dem Demokratieverständnis. Schritt für Schritt sinkt nicht nur das Niveau der politischen Auseinandersetzung, sondern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Vorkommnisse, die noch vor einigen Jahren für einen Aufschrei gesorgt hätten, werden heute achselzuckend hingenommen. Nicht nur Gleichgültigkeit spielt dabei eine Rolle, sondern auch eine Überforderung aufgrund der Komplexität und Menge der Vorkommnisse und der eingesetzten Vernebelungstaktik.

Hätte vor einigen Jahren ein Politiker gewagt auf die Frage zu antworten, sein zuletzt gelesenes Buch war MEIN KAMPF oder Politiker Mitbewerber als GSINDL zu bezeichnen, bin ich mir sicher, dass das zu mehr Diskussionen und Entsetzen als heute geführt hätte. Hätte mir jemand vor 3 Jahren gesagt, dass Amerikaner das Kapitol stürmen würden, weil ein populistischer Präsident das demokratische Wahlergebnis nicht akzeptiert, dann hätte ich aus voller Überzeugung gesagt, dass wird niemals passieren. Heute bin ich zwar entsetzt, aber nicht mehr überrascht, wenn dieser Ex-Präsident vor tausenden Anhängern verkündet, dass er den Erstürmern des Kapitols bei seiner Wiederwahl eine Begnadigung in Aussicht stellt, weil sie so unfair behandelt wurden.

Auch in vielen europäischen Ländern hat sich gezeigt, dass Wahlen allein noch keine Demokratie machen. Ich bin seit 13 Jahren aktiv im Europarat tätig und habe in vielen unserer 47 Mitgliedstaaten Länder- und Wahlbeobachtungen gemacht. Gerade in den sogenannten „jungen Demokratien“ ist der Hunger nach einer wirklichen Demokratie in der Bevölkerung durchaus groß, im Gegensatz zu den Interessen der herrschenden Klasse. Ich habe zB bei jungen Menschen in der Ukraine einen Willen auf Veränderung gespürt, den ich in unseren sogenannten „alten Demokratien“ vermisse. Ich habe in einigen Ex-Sowjetstaaten Wahlbeobachtungen gemacht, bei denen Menschen sich stundenlang vor Wahllokalen angestellt haben, um endlich eine Veränderung herbeizuführen. Ich habe in Azerbaijan Menschenrechtskämpfer:innen getroffen, die seit Jahren gegen die scheindemokratisch gewählte Regierung und ihre schweren Menschenrechtsverstöße demonstrieren und dabei alles verloren haben, ihr Haus, ihre Arbeit, ihre Reputation. Ich habe kurdische Bürgermeister:innen getroffen, die demokratisch gewählt worden sind, von der türkischen Regierung einfach abgesetzt wurden und jetzt entweder seit Jahren ohne Gerichtsverhandlung in Haft sind oder

ins Ausland flüchten mussten. Auch sie haben alles verloren, nur nicht ihren Willen und ihre Überzeugung für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu kämpfen. Und das alles passiert heute in Europa, einige Flugstunden von uns entfernt.

Was mich erschüttert ist die Tatsache, dass sich viele Menschen nicht mehr im Klaren sind, dass unsere für selbstverständlich gehaltene Freiheit, unser soziales Schutznetz und unser Wohlstand vor noch gar nicht langer Zeit unter viel Mut, Überzeugung, Schmerz und Leid hart erkämpft wurden. Der Kampf der Arbeiterklasse gegen die kapitalistische Ausbeutung war nur im Kollektiv unter Hintanstellung persönlicher Bedürfnisse möglich. Solidarität scheint heute ein veralteter Begriff zu sein, ein merkwürdiges Überbleibsel aus einer kaum mehr präsenten Vergangenheit. Er erinnert an den Widerstand der Arbeiter:innenbewegung und das Entstehen von Gewerkschaften, auch an den Beginn der staatlichen Sozialpolitik im 19. Jahrhundert.

Heute ist es normal geworden von Vorteilen zu profitieren, die andere erstritten haben und Lücken auszunutzen. Oft werden diejenigen, die sich für das Gemeinwohl engagieren, kritisiert und belächelt. Radikaler Liberalismus hat Individualisierung zum Prinzip gemacht und den Staat zum Feindbild erkoren. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge als Beitrag des Einzelnen werden negativ gesehen und es werden permanent Steuersenkungen gefordert – auch wenn das dazu führt, das wichtige Investitionen in Krankenhäuser, Schulen, Universitäten und in den öffentlichen Verkehr gekürzt werden. Dazu kommt die Spaltung der Gesellschaft in Gewinner und Verlierer. Milliardengewinne und -einkommen kann man nicht mehr mit Tüchtigkeit und Leistung argumentieren, Vollzeitarbeit mit Löhnen knapp über der Armutsgrenze sind ebenso nicht zu rechtfertigen. Dabei geht es nicht nur um die Frage der Gerechtigkeit, sondern auch um die Lebenschancen zukünftiger Generationen. In der Gesellschaft ist der Trend zur „Ich-AG“ immer mehr spürbar. Die Wahlbeteiligung geht zurück, Solidarität hat ihren Wert verloren, dass ICH und nicht das WIR steht im Vordergrund, Populisten werden bewundert. All das ist ein problematischer Nährboden für antidemokratische Entwicklungen, die letztlich immer auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Arbeitslosen und ohnehin schon Benachteiligten in der Gesellschaft gehen. Und manche aus der Riege der Turbokapitalisten wie Peter Thiel sagen es schon wieder ganz unverblümt, dass Demokratie ein veraltetes System und mit Freiheit unvereinbar ist.

Mittlerweile formiert sich jedoch ein Widerstand gegen diese Entwicklung. Es geht darum, die wachsende Ungleichheit wieder einzufangen, den Neoliberalismus und die „Tyrannei der Leistungsgesellschaft“ (Michael J. Sandel) zu stoppen. Die Herausforderungen wie Pandemie, Klimawandel, demografische Entwicklung, Einkommens- und Vermögensverteilung verlangen schon deshalb ein Umdenken, weil die grenzenlose Ausbeutung der Welt an ihre Grenzen gelangt.

Auch wenn es schwer ist dagegen anzukämpfen, weil es oft an einer breiten Unterstützung fehlt, dürfen und sollen wir nicht aufgeben und zu einer schweigenden Mehrheit werden. Noch funktionieren in unserem Land die demokratischen und rechtlichen Institutionen. Lassen wir nicht zu, dass sich die Geschichte wiederholt. Mögen alle, die für unsere Freiheit und unsere Demokratie gekämpft haben, es nicht umsonst getan haben.”